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Freitag, 14. März 2014

René Pollesch - Fahrende Frauen

"Das Publikum ist schon da und die Schauspieler streiken. Drei Übriggebliebene versuchen ein Theaterstück auf die Beine zu stellen, etwas wie „Unsere kleine Stadt“, fragen sich aber: „Wieso müssen w i r denn jetzt ran?“ – „Na, weil Kreativität nunmal von jedem erwartet wird. Dagegen kannst du nichts tun. Früher hätten wir dann wenigstens eine Rolle spielen können, aber jetzt müssen wir wir selbst sein. Jetzt betrifft es alle. Zieh das an!“
Kreativität ist das beherrschende Thema in „Fahrende Frauen“, der neuen Diskurskomödie von René Pollesch" Quelle: schauspielhaus.ch

"Kreativität, Selbstverwirklichung, Eigenverantwortung. An diesem Abend sind das kapitalistische Begriffe. Mit Opernguckern lässt Pollesch seine drei Schauspieler beobachten, wie ihre Kreativität in Echtzeit ins Publikum sickert und von diesem bald als Schlüsselqualifikation auf dem Arbeitsmarkt verscherbelt werden wird. Die schicke neue Polizeiuniform? Geht zurück auf das erste Tröpfchen Farbe auf der Leinwand von Jackson Pollock. Die Kreativität ist die neue Gier, und: "Was für eine Sklaverei, diese Eigenverantwortung!"
Ja, es gibt sie also auch hier wieder, diese Pollesch'schen Merk- oder Sprengsätze, die auch dem Theater selber an die Grundfeste gehen. Als Franz Beil, Carolin Conrad, Lilith Stangenberg auf der Bühne verzweifelt nach "Schauspielern" rufen, drückt man ihnen die Bewerbungen einer Kosmetikfachfrau und eines Elektrotechnikers in die Hand. Das sind noch Berufe mit klar umrissenen Rollen, aber das hilft in diesem Fall auch nicht weiter, denn gerade die Schausteller müssen heutzutage ja "sich selber" sein und sich aus sich selbst heraus verausgaben. Kein Wunder, dass die drei verfügbaren Exemplare durch Selbstaufblähung längst viel zu groß sind für die pittoresken Gebäudchen lokaler Zürcher Provenienz, die ihnen Bert Neumann auf die Bühne gestellt hat. "Unsere kleine Stadt" (von Thornton Wilder) hätte gespielt werden sollen, aber da passen die Schauspieler ganz offensichtlich nicht mehr hinein. Hey, das ist hier schließlich keine Provinzbühne!"
 Quelle: Christoph Fellmann in nachtkritik.de,
René Pollesch – Baumeister eines Teatrum mundi für die Verhältnisse der Gegenwart
Entschlüsselungen des verfickten Lebens
von Christian Rakow in nachtkritik-stuecke08.de
"Alles was gedreht wird, sind Erfolgsgeschichten", warnt René Pollesch in seinem neuen Stück den Diskursarbeiter. Und dennoch wird man schwer umhin kommen, eine solche Erfolgsgeschichte auch für den 1962 geborenen Autor und Regisseur aus Friedberg in Hessen zu entwerfen. Nach unebenem Start mit Phasen der Arbeitslosigkeit und diversen Autorenstipendien nimmt Polleschs Karriere Ende der 1990er in Berlin und am Hamburger Schauspielhaus (unter Tom Stromberg) Fahrt auf. 2001 erhält er erstmals den Dramatikerpreis in Mülheim (für "world wide web-slums") und tritt die Leitung des Praters an, der Nebenspielstätte der Berliner Volksbühne.
Pollesch lädt hier Künstler ein, die wie er aus den avantgardetheoriestarken Angewandten Theaterwissenschaften Gießen stammen (Gob Squad, She She Pop). Er gewinnt Großschauspieler aus dem Haupthaus wie Martin Wuttke, Sophie Rois oder Bernhard Schütz für die kleine Baracke. Eine Handvoll eigener Stücke bringt er jede Spielzeit auf die (von Bert Neumann stammenden) Einheitsbühnen und macht so im Ganzen den Prater zu einem der zentralen Spielorte für postdramatische Theaterformen in Deutschland. Ein unbeschwerter und stets gegen klassische Darstellungsweisen gerichteter Umgang mit Fernsehformaten (Spielshows, Soaps, Filmen), französischer Sozialtheorie, Ökonomieanalyse und Gender Studies bestimmt das Profil."
... [gesamter Text]