Was machen eigentlich Popstars, wenn sie auf der Bühne stehen? Singen, klar. Wem diese Antwort zu einfach ist, für den hat der grosse deutsche Poptheoretiker Diedrich Diederichsen ein Buch geschrieben.
Quelle: Christoph Fellman in Tages Anzeiger
"[...] Was diese fast 500 Seiten lesenswert machen, sind gewichtige Passagen, in denen er zum Kern der Popmusik vorstösst. Seine Erklärungen, warum Pop in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur bestimmenden kulturellen Kraft werden konnte, sind so originell wie sorgfältig argumentiert. So führt er als kleinste Einheit der Popmusik nicht den Song ein, den Riff oder den Beat. Sondern die Pose. «Alle Erfindungen der Popmusik sind um Posen herum gebaut, was für ein fiktiver Mensch einer oder eine sein könnte.» Aus diesen körperlichen, filmischen, modischen und auch musikalischen Versatzstücken baut der Popmusiker seine Performance. Aber: «Eine Pose taugt nur etwas, wenn ihre Fiktion gewissermassen echt ist. (. . .) Echt heisst, dass andere Leute dieses Artefakt leben können.»
Posen anprobieren
Der
Popstar performt also Lebensentwürfe, über die nur jeder einzelne Fan
sagen könnte, ob er sie für möglich oder authentisch hält. Das macht
diese Musik zu einer andeutungsreichen Kunst der Möglichkeiten. Sinnvoll
wird sie erst durch ihren Widerhall im gesellschaftlichen und
politischen Leben. Und im Zimmer des Teenagers: Dort werden die Posen
konsumiert und die Identitäten anprobiert, dort üben die Heranwachsenden
vor dem Spiegel ihren baldigen Aufbruch in immer neuen,
vielversprechenden Varianten. Der Star selber bleibt dabei im
Hintergrund, ein, so Diederichsen, «Fremder als Vertrauter».Das macht sein Auftauchen auf der Bühne umso aufregender: Der Geist steigt aus der Kulisse, die er auf allen medialen Kanälen aufgezogen hat, und seine Posen materialisieren sich in einem schreienden Körper. Es ist diese Fleischwerdung, die auf Anhieb kaum zu glauben ist: So kann man tatsächlich leben! Überhaupt hat Pop, wie Diederichsen ausführt, im Kunstkonsum die Dosis erhöht. Die bürgerliche Ära habe sich noch gegen zu hohe Intensitäten abgesichert: Wo sich ein Künstler ausdrückte, kam seine Kunst als Buch oder Gemälde zum Publikum. Wo aber ein leibhaftiger Performer, also ein Schauspieler oder Schlagersänger, auf der Bühne stand, war klar, dass er nur eine Rolle spielte. Popmusiker hingegen legen zwischen ihren Posen authentische Spuren und lassen durchscheinen, dass sie in eigener Sache auf der Bühne stehen. Bloss, wo diese Sache beginnt und endet, das bleibt unklar. [...] " (zum Artikel)
Diedrich Diederichsen. Über Pop-Musik. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
http://www.kiwi-verlag.de/buch/ueber-pop-musik/978-3-462-04532-1/
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