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Donnerstag, 24. April 2014

Reckwitz - Ästhetisierungsgesellschaft: Strukturen, Dissonanzen, Alternativen

Grundstruktur des Kreativitätsdispositivs
Regime des Neuen  +  Verknüpfung des Ästhetischen mit dem Ethos der Produktion
-> Umfeld des Marktes, des KOnsums

getrieben von innerer Kraft  +  äusserer Kraft

= Planung, Institutionalisierung und Materialisierung: Erbauung der CREATIV CITIES (Politische und gesellschaftliche Verortung der Kunst / Musik durch den Begriff: Kreativitätswirtschaft

bürgerliche Moderne, organisierte Moderne

Kreativitätsdispositivs sind aus Gefühlsmangel entstanden.


Das neue Regime der Originalität
Wir müssen kreativ sein
Der Künstler ist zum Rollenmodell der Spätmoderne geworden: Nichts wäre absurder, als heute unkreativ sein zu wollen. Doch der Zwang zur Originalität überfordert viele.

"Seit den siebziger Jahren hat die Zahl der Angehörigen der kreativen Berufe im weitesten Sinne – von den Medien bis zum Tourismus, vom Design bis zur Softwareentwicklung – deutlich zugenommen.


Studiert man intensiver den Strukturwandel der globalen Ökonomie, der Medien und ihrer digitalen Revolution, des Kunstmarkts, der Stadtentwicklung und den Wertewandel in den Mittelschichten in den letzten beiden Jahrzehnten, kristallisiert sich jedoch eine noch radikalere Einsicht heraus. Zentrale Segmente der westlichen Gegenwartsgesellschaften lassen sich mittlerweile von den Regeln eines Kreativitätsdispositivs, eines kreativ-ästhetischen Komplexes leiten. Das meint viel mehr als die Aussage, dass heutzutage „alle kreativ sein wollen“, und geht über die „Creative class“ hinaus.
So folgen die westlichen Großstädte zwischen Seattle und Amsterdam zunehmend dem Ideal einer Ästhetisierung. Im Kern setzen sie auf „Kultur“, auf die Produktion immer neuer urbaner Erfahrungen in Erlebnisstadtvierteln, spektakulärer Architektur und Kulturevents. Die digitalen Medien wiederum sind – weit entfernt vom passiven Coach potato – auf den kreativen Nutzer angewiesen. Der inszeniert sich in den sozialen Medien immer wieder selbst neu als ausdrucksstarke Persönlichkeit und sucht zugleich den Computer und das Netz nach immer neuen sinnlichen und emotionalen Reizen ab. Derweil werden die Medien nicht müde, anstelle von Politik- oder Wirtschaftslenkern Kreativstars zwischen Film und Musik, Design und Kunst als attraktive Vorbilder zu präsentieren.
[...]
Kreativitätsdispositiv meint, dass sich heute große Teile der sozialen Welt von einem Regime des ästhetisch Neuen anleiten lassen. Nun ist es charakteristisch für die moderne Gesellschaft, dass sie generell das Neue auf Kosten des Alten prämiert. Die moderne Orientierung am Neuen war lange gleichbedeutend mit einer Ausrichtung an politischen Revolutionen, an der technologischen Entwicklung und der Emanzipation des Individuums.
Aber das Regime des ästhetisch Neuen der Gegenwart ist anders aufgebaut. Hier geht es nicht um Fortschritt in Politik oder Technik, sondern um immer neue sinnliche und emotionale Reize um ihrer selbst willen, die hergestellt und genossen werden wollen. Kunstevents und urbane Erlebnisse gehören dazu, Designprodukte und Blogerzählungen, private „Quality time“ und touristische Erfahrungen.
Tritt man historisch einen Schritt zurück, dann war eine Ausrichtung der Gesellschaft am Zyklus des ästhetisch Neuen und am Ideal der Kreativität höchst unwahrscheinlich. Max Weber hat die moderne Gesellschaft mit einer scheinbar unauflösbaren Struktur der Rationalisierung gleichgesetzt. Die Moderne basiert auf Regeln der Berechenbarkeit und Effizienz, ob in der Wirtschaft, im Staat oder in der Wissenschaft. Der entsprechende Sozialcharakter strebt nach Leistung und Erfolg. Inmitten einer derart durchrationalisierten Moderne erschien die Kunst als wichtigster Gegenort: als ein Refugium für die Utopien des Schöpferischen. Der Künstler war ein Anti-Typ zum Bürger und Angestellten."
Quelle: Artikel in Tagespiegel.de